P. Löser u.a. (Hrsg.): Universität der Gelehrten

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Titel
Universität der Gelehrten – Universität der Experten. Adaptionen deutscher Wissenschaft in den USA des 19. Jahrhunderts


Herausgeber
Löser, Philipp; Christoph Strupp
Erschienen
Stuttgart 2005: Franz Steiner Verlag
Anzahl Seiten
171 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Sebastian Brändli

Die beiden Herausgeber beginnen ihre Einleitung mit einem Bezug zu aktuellen bildungspolitischen Debatten und verweisen auf Pauschalurteile, die (zur Legitimierung der eigenen Sichtweise) internationale Vergleiche bemühen, ohne allerdings über differenzierte Kenntnisse der Vergleichsobjekte zu verfügen. Die Frage nach der Leistungsfähigkeit des eigenen Hochschulsystems ist eine berechtigte, aber schwierig zu beantwortende Frage. «Benchmarking», die Identifikation und der Vergleich von wichtigen Kennzahlen und Indikatoren, liefert jedenfalls nicht immer hinreichende Informationen und erlaubt oft keinen verlässlichen Overall-Vergleich. Was bei solchen Vergleichen meistens ebenfalls fehlt, ist eine dynami sche Betrachtung, die auch Entwicklungen und deren Begründung offen legen würde.

In der europäischen Bildungs- und Wissenschaftspolitik wird immer wieder gerne der Vergleich mit den USA herangezogen. Dabei setzen die meisten Positionen eine grosse Unterschiedlichkeit etwa des deutschen (oder des schweizerischen) Hochschulsystems mit demjenigen der USA voraus. Dass dies nicht einfach so zutrifft, weiss jeder, der einen Blick in die Wissenschaftsgeschichte wagt und feststellen wird, dass das erfolgreiche deutsche Modell des 19. Jahrhunderts in den USA an mehreren Orten zu Reaktionen – sei es nun durch Aufnahme von Anregungen, sei es durch dezidierte Abgrenzung – geführt hat. Jedenfalls ist eine Analyse der Interaktionen reizvoll, die im 19. Jahrhundert zwischen den beiden Hochschulsystemen stattgefunden haben – auf Ebene der Wissenschaft und auf Ebene der Politik. Und selbstverständlich wäre es attraktiv, wenn die historische Analyse auch zum Verständnis der aktuellen Situationen beitragen könnte. – Eine Tagung des Deutschen Historischen Instituts in Washington im April 2002 ging unter dem Titel «Expert Cultures and Social Engineering in the Nineteenth Century: Scientists, Scholars, and Institutional Politics between Germany and the United States» Fragen des transatlantischen Bildungstransfers nach.

Die Herausgeber betonen in der Einleitung zunächst die kulturelle Differenz, die bezüglich Wissenschaftsverständnis in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts bei den Akteuren der beiden Hochschulsysteme erkennbar sind. Während in Deutsch land – fussend auf aufgeklärten Konzepten und vorangetrieben durch die Preussische Reform unter Wilhelm von Humboldt – sich die moderne, autonome, konsequent auf Wissenschaft, auf Forschung und Lehre ausgerichtete Universität entwickelte, war die amerikanische Universität jener Periode noch stärker eine auf reine kanonische Wissensvermittlung ausgerichtete Lehranstalt. Und während die deutsche Universität dem Spezialisierungsdruck, der durch Moderne und Industrialisierung entstand, den gebildeten Spezialisten entgegensetzen wollte, zeigt sich in vielen US-Reformkonzepten der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts zwar der Wille, das Ideal des «gebildeten Gentleman» zu verlassen, dies aber zugunsten eines vor allem für Fachfragen ausgebildeten Experten. Ein zweites theoretisches Standbein für die Analyse von kulturellem Transfer identifizieren die Herausgeber in der Erkenntnis, dass es beim möglichen Transfer von kulturellen Systemen nie um eine reine Übernahme gehe. Vielmehr sei «Transfer» nur im «Prozess kultureller Begegnungen» (S. 24) möglich; Transfer müsse so als «alternative kulturelle Entwicklung unter ähnlichen Bedingungen im weiteren Rahmen der Moderne» verstanden werden (S. 27).

Die sieben Fallstudien behandeln Entwicklungen der Disziplinen Theologie, Physik, Geschichtswissenschaft und Politische Wissenschaften ebenso wie der «Extension Lectures» – einem Pendant der Volkshochschulbewegung. Im einzelnen behandeln bzw. porträtieren Thomas Albert Howard die Deutsche Universitätstheologie in den USA; Christoph Strupp den Gründungspräsidenten der Cornell University, Andrew Dickson White; David Cahan die Ausgestaltung der amerikanischen Physik im Gilded Age unter dem Einfluss von Hermann von Helmholtz; Jeffrey Sklansky das Gilded Age als Reifeprüfung – G. Stanley Halls Psychologie der Industrialisierung; Philipp Löser die Aneigung und Überbietung des Wissenschaftsparadigmas bei Henry Adams; Gabriele Lingelbach die Gründung von Schools of Political Science an amerikanischen Universitäten; Christie Hanzlik-Green die Erwachsenenbildung und die Rolle des akademischen Experten – Die Anfänge der Extension Lectures der University of Wisconsin 1890–1897. – Die Fallbeispiele werfen interessante Schlaglichter – bestätigende und widersprechende – auf die These, dass «das deutsche Universitätssystem und deutsche Wissenschaftsstandards grossen Einfluss auf die Reform- und Modernisierungsprojekte amerikanischer Hochschulen im ausgehenden neunzehnten Jahrhundert» gehabt hätten (S. 31).

Zitierweise:
Sebastian Brändli: Rezension zu: Philipp Löser, Christoph Strupp (Hg.): Universität der Gelehrten – Universität der Experten. Adaptionen deutscher Wissenschaft in den USA des 19. Jahrhunderts. Stuttgart, Franz Steiner Verlag, 2005. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte, Vol. 57 Nr. 2, 2007, S. 225-226.

Redaktion
Zuerst veröffentlicht in

Schweizerische Zeitschrift für Geschichte, Vol. 57 Nr. 2, 2007, S. 225-226.

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